Unser Reigen, 2006, 105 min

Regie: Horst Königstein
Drehbuch: Jan Bonny
Kamera: Oliver Schwabe

mit Steven Gätjen, Melanie Blocksdorf, Torben Liebrecht, Catrin Striebeck, Alice Flotron u.a.
Als Gast: Udo Kier

"Unser Reigen" ist eine Collage über den Ausverkauf der Menschen im großen Gesellschaftsspiel der Sensationen - vom alten Showbusiness bis zum neuen Boulevard. Eine Legende aus einem Land, in dem Superstars, Supermodels und Supermenschen gesucht und gefunden werden. Im Mittelpunkt von "Unser Reigen" stehen Rita (Melanie Blocksdorf) und Bruce (Torben Liebrecht), die alles dafür geben, um aufzusteigen. Models, Superstars und Verkaufskanonen. Wer ist populär? Und wie viel muss ich dafür zahlen? Eine schier endlose Kette wird ausgelegt - und das große Versprechen, ganz vorne dabei zu sein. Eine Verkettung von Fakten, Hearsay, Kolportage, Banalitäten, Heimlichkeiten, Intrigen, Racheplots, Gehässigkeiten, Lobpreisungen - bis hin zum Rufmord. Ein Leben in der Öffentlichkeit - gejagt oder exhibitionistisch. Immer im Licht. Die Bereitstellung und das Geschäft mit einem gigantisch wirkenden Gewebe, das alle Beteiligten - Akteure wie Konsumenten - umhüllt wie ein Kokon.


Kamerakonzept zu "Unser Reigen":

Die Geschichte in "Unser Reigen" entlarvt das Mediengeschäft und verknüpft erfundene mit gefundenen Geschichten, wie sie so oder ähnlich bereits in Daily Soaps, der Klatschpresse und den Boulevardmagazinen auftauchen oder eben auftauchen könnten. Einer Branche wird der Spiegel vorgehalten und "Unser Reigen" bedient sich dabei der Mittel, die die Medienmaschine selbst benutzt. Inszenierte Teile vermischen sich mit Foundfootage-Material, Ausschnitten aus Talkshows, Magazinen oder Biographien. Um diese Vermischung und die Idee dahinter zu unterstützen, wird die Kameraarbeit in "Unser Reigen" sich dem Duktus der dokumentarischen Teile des Films anpassen. Genau diese Gier nach guten und aufreizenden Bildern bestimmt dort die Kameraführung und gibt klar die Aufgabenstellung vor: Schnell und spontan reagieren, um DAS Bild zu ergattern.

Die Kamera in "Unser Reigen" ist die hartnäckige, manchmal auch geduldige und unmittelbare Kamera. Reinste Aufzeichnungsmaschine. Sie ist flüchtig, gerne verrauscht, telig und unerbittlich und kann auch von purer Emotion gelenkt werden. Sie schwenkt nie weg, wendet sich nicht ab, sondern bleibt immer "drauf". Für mich bedeutet dies auch, dass die Kamera sehr beweglich (im Sinne von schneller Reaktion) sein muss. Keine große Technikmaschine darf spontane Belichtungen behindern oder gar unmöglich machen. Die Kamera muss frei reagieren können - Details, Besonderheiten und Spiel der Protagonisten müssen unmittelbar, ohne Verzögerung aufgezeichnet werden. Es muss der Eindruck entstehen, dass nicht nur im ON, sondern auch im OFF gedreht worden ist, die Kamera befindet sich auf der Jagd, auch wenn eine Szene schon abgedreht zu sein scheint, bleibt das Gerät im Anschlag und einsatzbereit! Es wird ausschließlich mit einer Handkamera gedreht. Die Kamera in "Unser Reigen" steht für den gierigen Blick und ist Auge im wahrsten Sinne. Sie ist der subjektivierte Blick inklusive Blinzeln (= kurzes Schwarzbild) und dem eingebrannten Nachbild einer optischen Sensation auf der Netzhaut. Dies ist aber nur eine Facette des Konzepts: So wie in "Unser Reigen" Realität mit Fiktion verknüpft und vermischt wird, so müssen sich auch in der Kameraarbeit Brüche finden, die zur Verdeutlichung oder zur Verwirrung dienen. Es werden der real anmutenden DV-Ästhetik filmische Sequenzen entgegenstehen, die filmisch und ruhig eine friedliche Atmosphäre vorgaukeln und den Charakteren einen Moment des Luftholens gestatten.

Oliver Schwabe, Mai 2006

So. 10.12.2006 00.00h NDR Fernsehen